18.12.2021 - Von Dennis Keke
Das AG Wolfenbüttel hat mit Urteil vom 25.07.2019 (Az.: 501 Ds 208 Js
8842/19) entschieden, dass sich ein Fahrzeugführer des tätlichen
Angriffs auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, in
Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und versuchter
Nötigung schuldig macht, wenn er den Anordnungen von Mitarbeitern der
Feuerwehr nicht Folge leistet, eine bestimmte Straße nicht befahren zu
können, da dort Löscharbeiten stattfinden, und stattdessen langsam
über den Fuß eines Feuerwehrmannes fährt.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: In der historischen
Altstadt von Wolfenbüttel kam es zu einem Wohnhausbrand mit
Gefährdungen von Bewohnern. Die umliegenden Straßen mussten weitläufig
abgesperrt werden, damit die Einsatzfahrzeuge zum Einsatzort gelangen
konnten. An der Absperrung zur Harzstraße waren die beiden Mitarbeiter
der Freiwilligen Feuerwehr H. und A. eingesetzt und leiteten den
Verkehr an dem Einmündungsbereich Bahnhofstraße/Harzstraße an dieser
Einmündung vorbei. H. und A. zeigten einen Anhaltestab vor und gaben
Handzeichen. Sowohl H. als auch A. trugen deutlich erkennbar die
Einsatzkleidung der Freiwilligen Feuerwehr Wolfenbüttel mit einem
Einsatzhelm und dem Anhaltestab der Feuerwehr.
Der
Angeklagte näherte sich am streitgegenständlichen Tag mit seinem Pkw
Mercedes A-Klasse älteren Baujahrs und wollte in den Bereich
Harzstraße hineinfahren, um dort in der Nähe zu parken. Der Angeklagte
sollte in wenigen Minuten einen Termin zu einem Gesprächskreis des
Jobcenters haben, sodass er es eilig hatte. H. und A. signalisierten
dem Angeklagten deutlich per Handzeichen und Signalkelle, dass er mit
seinem Fahrzeug nicht mehr die Straße einbiegen dürfe. Der Angeklagte
hielt zunächst an. H. und A. befürchteten, der Angeklagte könne
dennoch in die Straße einfahren, sodass sich H. links von dem
Angeklagten auf der Fahrbahn und A. direkt an der Beifahrerseite des
Fahrzeugs des Angeklagten in Höhe des Vorderreifens positionierte. Der
Angeklagte ließ im Folgenden das linke Seitenfenster seines Fahrzeugs
herunter und gab H. und A. lautstark zu verstehen, er müsse jetzt
unbedingt zu einem wichtigen Termin in die Harzstraße einfahren. H.
und A. gaben dem Angeklagten erneut zu verstehen, dass eine Durchfahrt
durch die Harzstraße nicht möglich sei, der Angeklagte vielmehr über
die Komißstraße und den Kornmarkt ausweichen müsse.
Nunmehr fuhrt der Angeklagte langsam an und drehte das
Lenkrad rechts in Richtung des immer noch unmittelbar am Fahrzeug
stehenden A.. Hierbei fuhr er mit seinem rechten Vorderrad über den
Fuß des A.. Dieser blieb lediglich deshalb unverletzt, weil er mit
Stahlkappen gesicherte Feuerwehrstiefel trug. Der Angeklagte nahm die
Möglichkeit, dem A über den Fuß zu fahren, zumindest billigend in
Kauf. Um den Angeklagten an der Weiterfahrt zu hindern, begab sich H.
direkt in die Fahrbahnmitte vor das Fahrzeug des Angeklagten, sodass
dieser etwa 1 m vor ihr bremsen musste. H. hielt hierbei ihre Hand
direkt auf die Kühlerhaube des Fahrzeugs des Angeklagten und schrie
den Angeklagten erneut an, er könne hier nicht durchfahren. Erst jetzt
setzte der Angeklagte zurück und fuhr mit hoher Geschwindigkeit davon.
Dem Angeklagten war beim Überfahren des Fußes bewusst, dass er durch
das Gewicht des Fahrzeugs ernsthafte Verletzungen im Bereich des
Fußbereichs verursachen könnte.
Das AG Wolfenbüttel hat den Angeklagten wegen tätlichen Angriffs auf
Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, gem. §§ 114 Abs. 1,
115 Abs. 3 StGB in Tateinheit mit versuchter gefährlicher
Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 und
versuchter Nötigung gem. §§ 240 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB verurteilt.
Seit einigen Jahren unterfallen dem Tatbestand des
tätlichen Angriffs i.S.d. § 114 Abs. 1 StGB gem. § 115 Abs. 3 StGB
auch solche Personen, die bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not
Hilfe leistet. Der Tatbestand setzt hierfür voraus, dass ein solcher
Hilfeleistender durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert
oder der Hilfeleistende tätlich angegriffen wird. H. und A.
unterfallen als Mitarbeiter der Freiwilligen Feuerwehr diesem
Personenkreis:
"[...] Nach einer Gesetzesänderung sind auch Mitarbeiter der Freiwilligen Feuerwehr in den Schutzbereich des § 115 Abs. 3 StGB einbezogen. Sie waren auch Hilfeleister im Sinne der Vorschrift, weil sie im Rahmen eines Gesamteinsatzes den Feuerwehreinsatz bei einer gemeinen Gefahr sicherstellten. [...]"
Da es sich bei dem Delikt des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte nach § 114 Abs. 1 StGB um ein Vorsatzdelikt handelt, musste das Gericht feststellen, dass der Angeklagte auch mit Vorsatz bezüglich der Stellung von H. und A. als Mitarbeiter der Freiwilligen Feuerwehr in einem Feuerwehreinsatz handelte. Dies war vorliegend ohne Weiteres zu bejahen, da H. und A. den Angeklagten vor Ort über den Feuerwehreinsatz aufklärten.
"[...] Der tägliche (Anmerkung des Bearbeiters: Gemeint ist wohl "tätlich") Angriff erfolgte auch während der Dauer der Hilfeleistung in Kenntnis der gemeinen Gefahr und der Zugehörigkeit der Betroffenen zur Freiwilligen Feuerwehr. [...]"
In dieser Entscheidung wird ein Klassiker i.R.d. gefährlichen
Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB thematisiert: Das
Gericht bejaht eine Strafbarkeit wegen versuchter gefährlicher
Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 2. Fall, 22, 23
Abs. 1 StGB. Zutreffend erkennt es, dass es sich bei dem Kfz des
Angeklagten um ein gefährliches Werkzeug handelt. Kfz werden
regelmäßig als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB
angesehen (vgl. Fischer, StGB Kommentar, 66. Auflage 2019, Rn. 16 zu §
224 StGB; vgl. auch BGH, Beschluss v. 14.07.2020 -- 4 StR 194/20). Ein
Kfz ist nach seiner Beschaffenheit und der Art der Anwendung im
konkreten Fall geeignet, Menschen erheblich in ihrer Gesundheit zu
verletzen. Das Überfahren eines Fußes kann zu komplizierten und
womöglich auch irreparablen Brüchen des betreffenden Fußes führen.
Dass A. während des Einsatzes mit Stahlkappen gesicherte
Feuerwehrstiefel trug, führte wohl dazu, dass Verletzungen am Fuß des
A. ausblieben.
Das AG stellt kurz fest, dass der
Tatbestand der Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB, ebenso wie derjenige
der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr.
1, 2. Fall StGB nicht erfüllt ist. Hierzu fehlt es am erforderlichen
Nötigungserfolg. Dem Angeklagten war es nicht, wie beabsichtigt,
gelungen, die Mitarbeiter der Freiwilligen Feuerwehr dazu zu bewegen,
dem Angeklagten Platz zu machen.
"[...] und das Voranfahren zielte auch darauf ab, die Mitarbeiter der Freiwilligen Feuerwehr dazu zu bewegen, ihm Platz zu machen. Da dieses nicht geschah [...], blieb es [...] nur beim Versuch. [...]"
Dass das Konkurrenzverhältnis der §§ 113 ff. StGB zu § 240 StGB nicht
unproblematisch ist, erwähnt das AG in seiner Entscheidung an keiner
Stelle, sondern bejaht ohne Weiteres eine Strafbarkeit wegen
versuchter Nötigung gem. §§ 240 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Wegen der
besonderen tatbestandlichen Anforderungen der §§ 113 ff. StGB sowie
der besonderen Irrtumsregelungen in den Absätzen 3 und 4, die der §
240 Abs. 1 StGB nicht aufweist, überzeugt es, dass § 240 Abs. 1 StGB
im Anwendungsbereich der §§ 113 ff. StGB im Wege der Spezialität
zurücktritt (vgl. Fischer, StGB Kommentar, 66. Auflage 2019, Rn. 2 zu
§ 113 StGB; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB Kommentar, 30. Auflage
2019, Rn. 3 f. zu § 113 StGB).
Das AG geht in seiner
Entscheidung sodann ausführlich auf die Strafzumessungserwägungen ein,
die für das Gericht bei seiner Entscheidung leitend gewesen sind.
Strafmildernd erkennt es an, dass sich der Angeklagte aufgrund des
Termindrucks, dem dieser während der Tat unterlag, in einer gewissen
Überforderungssituation befand:
"[...] Im Rahmen der Strafzumessung hat das Gericht [...] eine gewisse Überforderungssituation für den Angeklagten berücksichtigt. [...]"
Das AG hat ferner berücksichtigt, dass der Tat offensichtlich keine
grundsätzlich rechtsfeindlichen Motive zu Grunde lagen und es nicht zu
einer Verletzung des Feuerwehrmanns gekommen ist.
Ferner
führt das AG in seiner Entscheidung auch aus, welche Umstände sich
straferschwerend auswirkten:
"[...] Straferschwerend wirkten sich insbesondere die Dauer und Intensität des Versuchs, sich gegen die Anweisungen freie Fahrt zu verschaffen sowie der in der Tat zum Ausdruck kommende mangelende Respekt gegenüber ehrenamtlich tätigen Personen im Dienste der Allgemeinheit und die Missachtung ihrer Anweisungen aus eigensüchtigen Motiven. [...]"
Die Dauer und Intensität eines Versuchs dürften regelmäßig
ausschlaggebend für das Strafmaß sein. Aufgrund der erheblichen
drohenden Verletzungsgefahren, die für H. von der Tat ausgingen,
erscheint eine diesbezügliche Straferschwerung jedenfalls
nachvollziehbar. Freilich vermag auch ein etwaiger Termindruck, wie
ihr der Angeklagte unterlag, kein nachvollziehbares Motiv für die Tat
dar.
Das AG begründet seine Entscheidung des Weiteren damit,
"[...] dass die Rechtsordnung es nicht hinnehmen könne, dass Vertreter des Staates und ehrenamtlich Tätige, die im Allgemeininteresse tätig sind, angegriffen werden und aus eigensüchtigen Gründen ihre Abreit erschwert und behindert wird. Es war daher auch im Rahmen der Strafzumessung ein deutliches Signal zu setzen, dass es sich bei derartigen Verhaltensweisen nicht um "Kavaliersdelikte", sondern schwere Straftaten handelt, die entsprechend geahndet werden. [...]"
Für meinen Geschmack argumentiert das AG an dieser Stelle sehr
allgemein bezogen auf das Rechtsgut der §§ 113 ff. StGB, welches wohl
in der Autorität und dem Schutz staatlicher Vollstreckugnsakte, oder
bezogen auf § 115 Abs. 3 StGB auch im Schutz der MItarbeiter der Feuer
bzw. dem ordnungsgemäßen Ablauf von Feuerwehreinsätzen, gesehen werden
kann (vgl. zum Schutzgut der §§ 113 ff. StGB Fischer, StGB Kommentar,
66. Auflage 2019, Rn. 2 zu § 113 StGB; Eser, in: Schönke/Schröder,
StGB Kommentar, 30. Auflage 2019, Rn. 2 zu § 113 StGB). Keinesfalls
darf nicht der Umstand als solcher straferschwerend berücksichtigt
werden, dass ein bestimmter Straftatbestand verwirklicht worden ist.
Allerdings benennt das AG auch an dieser Stelle die eigensüchtigen
Gründen, aus denen der Angeklagte gehandelt hat.
Das
Amtsgericht hat den Angeklagten schließlich zu einer Freiheitsstrafe
von sieben Monaten verurteilt, wobei es die Vollstreckung der
Freiheitsstrafe indes zur Bewährung ausgesetzt hat. Als Nebenstrafe
wurde dem Angeklagten für die Dauer von zwei Monaten untersagt, im
Straßenverkehr ein Kfz zu führen. Vom Vorwurf des unerlaubten
Entfernens vom Unfallort i.S.d. § 142 Abs. 1 StGB war der Angeklagte
freizusprechen, weil kein messbarer Schaden entstanden ist.
Die Entscheidung thematisiert das Zusammenspiel von §§ 113 ff., §§ 223 ff. und §§ 240 StGB. Auch wird deutlich, dass durch § 115 Abs. 3 StGB auch Feuerwehrleute, die bei Feuerwehreisätzen mitwirken, vor Gewalt, Drohung mit Gewalt und tätlichen Angriffen geschützt sind.